„Ärzte haben die Pflicht, einem Patienten unabhängig von seinem zivilen oder politischen Status angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, und Regierungen dürfen weder das Recht des Patienten auf eine derartige Versorgung, noch die Pflicht des Arztes zur Behandlung allein auf der Grundlage des klinischen Bedarfs einschränken.“
(WMA Resolution on Medical Care for Refugees and Internally Displaced Persons – beschlossen von der Generalversammlung des Weltärztebundes [World Medical Association – WMA ], Ottawa, Kanada, Oktober 1998, bekräftigt von der WMA Generalversammlung, Seoul, Korea, Oktober 2008 und überarbeitet von der WMA Generalversammlung Vancouver, Kanada, Oktober 2010)
Darüber hinaus unterliegen Ärzte der Schweigepflicht. Diese umfasst die Art und den Verlauf der Krankheit, die Anamnese, die Diagnose und die Therapiemaßnahmen, psychische Auffälligkeiten, körperliche und geistige Besonderheiten, Patientenakten, Röntgenbilder und Untersuchungsergebnisse sowie alle Angaben über die persönlichen, beruflichen, wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse. Auch die Identität des Patienten wird vom Geheimnisbegriff umfasst, ebenso wie der Umstand, dass der Patient einen Arzt aufgesucht hat. ¹
Verlängerte Geheimnisschutz ist die Ausweitung der ärztlichen Schweigepflicht auf die Mitarbeiter einer Behörde, die von Daten einer Person ohne legalen Aufenthaltsstatus Kenntnis erlangen. Das spielt vor allem bei der Kostenerstattung der medizinischen Notfallversorgung von Menschen ohne Aufenthaltsstatus durch das Sozialamt eine Rolle.
Die geseztliche Grundlage des verlängerten Geheimnisschutzes ist §88 Absatz 2.4.0 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz in der Fassung von 2009.
In vielen Krankenhäusern und Sozialämtern ist die Vorschrift über den verlängerten Geheimnisschutz nicht bekannt, sodass im Zweifelsfall Daten an die Ausländerbehörde weitergegeben werden.
Eine Verwaltungsvorschrift ist weniger bindend als ein Gesetz und kann von den Bundesländern unterschiedlich ausgelegt werden. §11 Absatz 3 des Asylbewerberleistungsgesetzes ermöglicht einen Datenabgleich zwischen Ausländerbehörde und Sozialamt. Es ist bisher nicht geklärt, inwiefern der „verlängerte Geheimnisschutz“ in diesem Fall gilt.
Ärztinnen und Ärzte haben die Pflicht, medizinische Hilfe zu leisten. Sie machen sich bei der Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus nicht strafbar, wenn sich ihre Handlungen objektiv auf die Erfüllung ihrer beruflichen Pflichten beschränken.²
Allerdings haben Ärzte und Ärztinnen einen rechtlich begründeten Anspruch auf Honorierung ihrer Leistungen. Sie machen sich daher nicht strafbar, wenn sie für die Behandlung von Menschen ohne legalen Aufenthalts-status ein Honorar nehmen. Je nach der persönlichen Situation der Patientinnen und Patienten ist die Höhe des Honorars mit der ärztlichen Verpflichtung zu helfen in Einklang zu bringen.
§4 und §6 des Asylbewerberleistungsgesetzes sieht vor, dass Behandlungen bei akuten oder schmerzhaften Erkrankungen, sowie Leistungen, die zum Erhalt der Gesundheit unerlässlich sind, über das Sozialamt abgerechnet werden können. Dies gilt auch für Menschen ohne rechtlichen Aufenthaltsstatus.
Dabei wird unterschieden zwischen geplanten Behandlungen und Notfallsituationen.
Bei geplanten Behandlungen muss der Patient vorher einen Behandlungsschein beim Sozialamt beantragen. Das Sozialamt ist nach §87 des Aufenthaltsgesetzes verpflichtet, in diesem Fall der Ausländerbehörde Daten von nicht aufenthaltsberechtigten Personen zu übermitteln, was zur Abschiebung führen kann.
Bei Notfällen ist ein Behandlungsschein nicht nötig und der verlängerte Geheimnisschutz greift. Das bedeutet, dass der behandelnde Arzt oder das Krankenhaus die Behandlung beim Sozialamt abrechnen lassen kann und das Sozialamt nicht verpflichtet ist, die entsprechenden Daten weiterzugeben, da die Betroffenen Leistungen einer schweigepflichtigen Person in Anspruch genommen haben und ihre Daten nicht selbst dem Sozialamt übermitteln.
Allerdings wird ein medizinischer Notfall in unterschiedlichen Kommunen verschieden definiert.
Für die Erstattung der Behandlungskosten muss das Krankenhaus oder der Arzt beweisen, dass der Patient bedürftig war. Dafür sind viele Unterlagen (z.B. Mietvertrag oder Kontoauszüge) nötig, die ein Mensch ohne Papiere nicht liefern kann. So wird der Anspruch auf Kostenrückerstattung nur selten durchgesetzt.
Eine andere Möglichkeiten für die Kostenabrechnung ist das Opferentschädigungsgesetz, wie etwa bei Arbeitsunfällen nach dem Sozialgesetzbuch oder Für Opfer von Gewalttaten. Allerdings ist die Offenlegung des fehlenden Aufenthaltsstatus unvermeidbar.
Bei sexuell übertragbaren Krankheiten und Tuberkulose bietet das Gesundheitsamt nach dem Infektionsschutzgesetz Beratung und Untersuchung an oder stellt diese in Zusammenarbeit mit anderen medizinischen Einrichtungen sicher. Die Beratung durch das Gesundheitsamt erfolgt kostenlos. Sofern das Gesundheitsamt eine Untersuchung und/ oder Behandlung vornimmt oder vornehmen lässt, werden die Kosten nur dann aus öffentlichen Mitteln getragen, wenn die Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus die Kosten nicht selbst tragen können oder – wovon auszugehen ist – sie nicht krankenversichert sind. Hierbei kann sich im Einzelfall wiederum die Frage der Offenlegung des fehlenden Aufenthaltsstatus stellen.
Welche Abrechnungsmöglichkeit sinnvoll ist, ist mit den Patientinnen und Patienten zu besprechen. Kommt keine der Möglichkeiten in Betracht, sollte erwogen werden, ob das Krankenhaus bereit ist, den Patientinnen und Patienten eine Behandlung zu einem reduzierten Betrag anzubieten. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass Selbstzahler außerhalb des Budgets abgerechnet werden.
Je nach Schwere der Erkrankung kann es sinnvoll sein, mit den Patienten über eine Offenlegung ihres Status zu sprechen, um evtl. eine Duldung zu erreichen.
¹§203 StGB
²Bundesministerium des Innern (Hrsg): Illegal aufhältige Migranten in Deutschland: Datenlage, Rechtslage, Handlungsoptionen. Bericht des Bundesministeriums des Innern zum Prüfauftrag „Illegalität“ aus der Koalitionsvereinbarung vom 11. November 2005, Kapitel VIII 1.2, S. 48, Februar 2007 stellt fest: „Medizinische Hilfe zu Gunsten von Illegalen wird nicht vom Tatbestand des § 96 Abs. 1 Nr. 2 Aufenthaltsgesetz (Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt) erfasst; Ärzte und sonstiges medizinisches Personal, das medizinische Hilfe leistet, macht sich nicht strafbar“. Die Allgemeine Verwaltungsvor- schrift der Bundesregierung zum Aufenthaltsgesetz vom 18. September 2009 (BR-Drs. 669/09), S. 531 stellt klar: „Handlungen von Personen, die im Rahmen ihres Berufes oder ihres sozial anerkannten Ehrenamtes tätig werden (insbesondere Apotheker, Ärzte, Hebammen, Angehörige von Pflegeberufen, Psychiater, Seelsorger, Lehrer, Sozialarbeiter, Richter oder Rechtsanwälte), werden regelmäßig keine Beteiligung leisten, soweit die Handlungen sich objektiv auf die Erfüllung ihrer rechtlich festgelegten bzw. anerkannten berufs-/ehrenamtsspezifischen Pflichten beschränken“.
Weitere Informationen:
- Fallsammlung der Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität „Krank und ohne Papiere“(April 2018)
- „Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis „Faltblatt der Bundesärztekammer (2013)
- Deutsches Institut für Menschenrechte: „Frauen, Männer und Kinder ohne Papiere in Deutschland- Ihr Recht auf Gesundheit“(2008)
- http://gesundheit-gefluechtete.info/eu-richtlinie-involvierte/